Der Lebensplan und das Vertrauen - Freie Wille
- Z.W
- 10. Juli 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Jan.

Die Landschaft, in der ich mich an diesem Tag befand, war ganz neu und unterschied sich vollständig von unserer Realität. Der Boden erinnert an eine Wüste – nicht sandig, sondern eher steinig. In der Ferne vor mir erblicke ich eine riesige weiße Nebelwand, die präzise vom Boden bis in unendliche Höhen und in alle Richtungen reicht. Die Farbe des Bodens veränderte sich mit zunehmender Entfernung. Anfangs gelb, wandelt sich die Farbe des Bodens nach und nach ins Orange und wird schließlich tiefrot in der unmittelbaren Nähe der Nebelwand. Vollkommene Stille umgab mich. Kein Wind, keine Sonne, nichts, was mich an die Erde erinnern könnte. In dieser stillen, neuen Welt fühlte ich den Lebensplan und das Vertrauen, die mich hierher geführt hatten.
Nachdem ich meine Umgebung genau betrachtet hatte, entschied ich mich, in Richtung der Wand zu laufen. Trotz eines Gefühls der Ehrfurcht vor dem, was ich dort entdecken würde, ging ich weiter. Als ich mich der Wand näherte, bemerkte ich, dass davor ein schmaler Streifen Wasser lag. Kleine Wellen bewegten sich auf mich zu.
Das Wasser ist nicht tiefer als 30 cm und ich kann mühelos den Grund erkennen. Ich überlegte, ob ich einfach hindurchgehen und die Wand durchqueren sollte, doch etwas hielt mich zurück. Ich hatte das Gefühl, warten zu müssen, als bräuchte ich eine Erlaubnis. Während ich noch unschlüssig dastand, öffnete sich die Wand in der Mitte, sodass zuerst ein schmaler Spalt erschien. Dieser Spalt breitete sich langsam aus, sodass bald ein schmaler Korridor sichtbar wurde.
Der Boden ist aus glattem, weißem und glänzendem Marmor gefertigt, flankiert von einer weißen, nebeligen Masse, die so hoch reicht, dass ich ihr Ende nicht erfassen kann. Angesichts des endlos langen Weges und der unermesslich hohen Wände vor mir, fühlte ich mich winzig.
Ich lief weiter und betrat einen sehr weiten und hohen Raum. Alles in diesem gigantischen Saal bestand aus dem gleichen weißen, glänzenden Marmor wie der Weg, der mich hierhergeführt hatte. Die Wände, vier runde Säulen, die bis zur Decke reichten, erinnerten an einen riesigen Ballsaal. In der Mitte stand ein stabiler, großer Tisch, gefertigt aus dem gleichen Material wie alles um mich herum.
Auf dem Tisch erkenne ich ein dickes, altes, Buch das in der Mitte aufgeschlagen war und meine Neugier weckte. Ich ging zielstrebig darauf zu, um es besser betrachten zu können. Als ich meine Augen auf die aufgeschlagenen Seiten richtete, merkte ich sofort, dass ich den Inhalt nicht entziffern konnte. Alles um mich herum konnte ich perfekt und im Detail erkennen, nur nicht, was auf den aufgeschlagenen Seiten stand. Ich konzentrierte mich, schaute genau hin, konnte aber nichts erkennen. Es war, als würde sich meine Sehfähigkeit plötzlich verschlechtern, sobald ich darauf blickte, wie ein blinder Fleck in meinem Sichtfeld.
Ein wenig irritiert und unschlüssig stand ich da, als ich seine unverwechselbare Präsenz links neben mir spürte.
"Willst du etwas reinschreiben?" fragte er mich.
Seine Frage überraschte mich, denn auf dem Tisch hatte ich außer dem Buch nichts gesehen, was zum Schreiben dienen konnte. Ich schaute noch einmal hin und tatsächlich, neben dem Buch lag etwas, das wie ein Kugelschreiber oder Füller aussah.
"Was soll ich schreiben?" fragte ich. "Ich kann nicht einmal erkennen was drinsteht und ob überhaupt Platz auf den Seiten frei ist."
"Willst du das Risiko eingehen und blind etwas reinschreiben?"
"Nein", antwortete ich schnell. "Ich will nicht, dass die Seiten ruiniert werden. Das Buch sieht alt und wertvoll aus. Vielleicht schreibe ich über etwas und mache den Originaltext kaputt. Ich könnte damit den ursprünglichen Text überdecken. Ich schreibe doch nicht mit einem Kuli in so ein Buch hinein."
Das Buch sah tatsächlich wunderschön und antiquiert aus. Es ähnelte alten Manuskripten, wie man sie in Museen, geschützt unter Glasscheiben, betrachten kann. Ein lederner Einband mit Goldverzierungen und leicht vergilbten Seiten. Die Idee, dass Buch mit einem gewöhnlichen Kugelschreiber zu bekritzeln, schien mir kindisch, unverantwortlich und profan.
Ich nehme sein Lächeln wahr, obwohl ich ihn nicht sehen kann. Er schien zufrieden mit meiner Antwort zu sein, auch wenn mir nicht ganz klar war, warum er es so empfand. Ich wollte bloß dieses Buch nicht ruinieren, mehr hatte ich nicht im Sinn.
"Viele Menschen tun es", antwortete er. "Sie haben keinen blassen Schimmer, was auf diesen Seiten geschrieben steht, ob die Seiten weise Worte beinhalten oder nicht und es ist ihnen eigentlich auch egal. Sie wollen nur ihren eigenen Fingerabdruck, ihre ganz persönliche individuelle Zugabe darin festhalten. Sie dürfen es. Sie können kritzeln, schreiben, malen und zeichnen. Sie dürfen auch einen Radiergummi nehmen und alles, was auf diesen Seiten geschrieben steht, wegradieren. All dies ist erlaubt. Sie können die Seiten auch herausreißen, wenn sie möchten. Sie müssen aber am Ende die Verantwortung für die neu gestalteten Seiten übernehmen und sich nicht wundern, dass das Endprodukt nicht so aussieht, wie sie es sich vorgestellt haben. Sie haben letztendlich blind agiert. Sie haben eine genaue Vorstellung davon, was sie reingeschrieben oder gemalt haben, sind sich aber nicht bewusst, was vorher darauf geschrieben war. Aber eine Sache kann ich dir verraten, keine dieser Seiten ist leer. Das ist sicher. Und deswegen kann Ihr Werk nicht so aussehen, als hätten sie eine leere Seite benutzt. Und am Ende ärgern sie sich, sind frustriert und sogar auf sich wütend, wenn sie das Ergebnis betrachten. Ich verrate dir noch etwas, es gibt noch eine Grenze. Die Nebelwand war nicht die ultimative Grenze. Schau da vorne."
Als er das sagte, richtete ich meinen Blick nach vorne und bemerkte sofort eine gigantische, stabile Tür aus hartem Holz. Sie war so groß, dass ich in meinem Sichtfeld nichts weiter als den Türknauf wahrnehmen konnte. Eine kilometerlange, breite und hohe Tür, überall mit wunderbaren goldenen Verzierungen bedeckt.
"Wenn ihr da hindurch gegangen seid, dann werdet ihr ganz klar und deutlich sehen können, was auf euren persönlichen Seiten ursprünglich geschrieben stand, aber auch das End Werk, nachdem ihr eure eigenen Vorstellungen von schön, wichtig, toll und unverzichtbar unbedingt dazu gehabt haben wolltet. Ich kann im Nachhinein nichts ändern. Es steht mir nicht zu."
Was er sagte, überrumpelte mich total. Mein Verstand meldete sich sofort und ich schüttelte den Kopf. Ich wurde sofort an Gebote, Regeln und all das erinnert, was mich von der Enge der Religion distanziert hatte. Möchte er mir jetzt sagen, dass ich keine freie Entscheidung darüber habe, was meinen Lebensweg betrifft? Das alles vorherbestimmt ist?
"Heißt das, dass wir das, was du für uns geplant und aufgeschrieben hast, einfach annehmen sollen, ohne etwas hinzuzufügen? Keine eigene Entscheidung treffen?"
Als ich ihm das sagte, war ich ein wenig verärgert.
Er lachte.
"Bei dir ist immer alles oder nichts. Natürlich dürft und sollt ihr euren eigenen Fingerabdruck hinterlassen. Aber die Entscheidung es zu tun, sollte mit dem Herzen getroffen werden und soweit es euch möglich ist, sollte euer Tun nicht gegen die Liebe verstoßen. Euer Tun sollte nicht in Kauf nehmen, dass andere dadurch verletzt werden. Weder physisch noch emotional. Was aus Selbstsucht, Egoismus, Gier oder Hass unternommen wird, wird nicht schön auf euren Seiten aussehen.
Es ist ein unwiderrufliches universelles Gesetz: Das Gesetz der Liebe, das über allem wirkt. Ich kann dagegen nichts unternehmen, nichts im Nachhinein ändern. Ihr solltet euch häufiger auf eure Intuition verlassen. Oft wisst ihr genau, was richtig ist und dennoch entscheidet ihr euch bewusst für das Gegenteil. Ich erwarte nicht, dass der Lebensplan, den ich für euch entworfen habe, unverändert bleibt. Wenn ihr in euch hineinhört und euch den Wahrheiten, die euch umgeben nicht verschließt, dann könnt ihr sinnvolle und bereichernde Ergänzungen vornehmen.
Mein Plan ist lediglich ein grober Entwurf, den ich aus Liebe zu euch geschrieben habe. Er enthält keine Schicksalsschläge, Fallen oder Prüfungen. Es ist der Weg, der am besten zu euch passt und mit dem ihr das meiste aus diesem Leben herausholen könnt.
Ich urteile auch nicht über euer Endergebnis. Die einzigen die darüber urteilen werden, seid ihr selbst. Von meiner Seite aus gibt es keine Regeln darüber, was ihr zu euren Seiten hinzufügen oder davon entfernen möchtet. Eure Handlungen beeinflussen in keiner Weise meine Liebe zu euch. Sie beeinflussen nur, wie ihr euch fühlt.
Ich bin euch nicht böse und ärgere mich auch nicht deswegen. Ihr ärgert euch, dass ihr nicht das Beste erreicht habt. Dann seid ihr enttäuscht, frustriert und traurig, weil euer Lebensweg nicht euren Vorstellungen entsprach und nicht das Beste war, was ihr erreichen wolltet.
Glaubt mir, wenn ihr durch diese Tür geht, werdet ihr umso mehr Freude empfinden, je mehr ihr nicht gegen die Liebe verstoßen habt.
„Verstehe“, unterbreche ich ihn. „Und was passiert danach? Nachdem wir über diese Türschwelle getreten sind?“
„Ganz einfach“, sagt er. „Ihr könnt es noch einmal versuchen, noch einmal gehen und es wieder probieren, oder ihr bleibt hier, überwindet die Enttäuschung und lernt daraus. Es geht alles um eure Entwicklung, darum, dass ihr lernt.“
„Vertrauen ist dann ganz wichtig, oder?“, frage ich erneut.
„Ja Kind, Euren Lebensplan und das Vertrauen ist sehr wichtig. Eure ewige Glückseligkeit und Frieden sind viel größere Ziele als ein problemloser Lebensweg. Ich wünsche mir und freue mich, wenn ihr am Ende eures Lebens glücklich und zufrieden mit euch selbst seid. Es macht mich traurig, euch enttäuscht und verärgert zu sehen. Ihr seid große, kraftvolle Wesen mit einer würdigen Richtung und einem würdigen Ziel. Manchmal vergesst ihr das.“
Als er zu Ende spricht, fühle ich mich plötzlich von einer Liebe umhüllt, deren Intensität und Vollkommenheit unübertrefflich sind. Ganz anders als die Liebe, die ich von der Erde kenne. Sie ist bedingungslos, allumfassend und endlos. Ich fühle mich jetzt von Liebe durchströmt, ertränke in Liebe und jede Faser meines Seins ist in Liebe getränkt. Es ist die perfekte Glückseligkeit und man spürt, dass man aus dieser Liebe geboren ist und selbst diese Liebe ist.
„Wie kannst du uns so lieben?“, muss ich ihn fragen, denn mein Verstand ist nicht in der Lage zu verstehen, wie so etwas möglich ist. „Wie kann jemand, selbst wenn er die Quelle allen Lebens ist, eine so unübertreffliche Liebe wie diese uns schenken? Ich habe das Gefühl, dass ich das gar nicht verdient habe.“
„Euch zu lieben ist meine Bestimmung, der Grund meiner Existenz. So einfach ist das und du musst es dir nicht verdienen“, antwortet er und ich weiß, dass er meine Gedanken kannte, bevor ich sie zu Ende gedacht habe.
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